Gänge der Schule

Tamy hatte es irgendwie geschafft, die Schulstunden hinter sich zu bringen, obwohl sie soviel davon nicht mitbekommen hatte. Lieber schrieb sie an einem Brief für ihre Zwillingsschwester, die sie jetzt schon tierisch vermisste. Immer noch war sie der Meinung, dass Samy auf die Schule hätten sollen. Sie war soviel talentierter als sie und hatte außerdem viel mehr Selbstbewusstsein und Ausstrahlung.
Eben alles, was ihr fehlte. Seufzend schob sie den Brief in die Mappe und verkrümelte sich erst aus der Klasse, als alle anderen schon draußen waren. Gott, es war ja so eine dumme Entscheidung, so auffällig zu werden. Dann fühlst du dich sicher selbstbewusster, hatte Samy gemeint. Von wegen, jetzt wurde sie ja erst recht von allen angestarrt. Wäre sie doch nur mal bei ihren schwarzen Haaren geblieben. Naja, zumindest verdeckte ihr Pulli ihre Arme und somit die Narben und Tattoos. Das war schon ein kleiner Vorteil, nicht wahr? Und seit ihrem Gespräch mit Muri und Taiki hatte sie niemand mehr angesprochen, was irgendwie auch gut war. Sie sprach eben nicht gern mit Fremden. Beziehungsweise, generell mit niemandem, den sie nicht kannte. Oder gut kannte. Eigentlich nur mit ihrer Schwester sprach sie relativ gern. Ohne sie fühlte sie sich noch unvollständiger als sonst schon.

Der Unterricht war aus. Endlich! Noch einen langweiligen Schultag hinter sich gebracht. Muriel war stolz auf sich. Er war nicht einfach nicht zum Unterricht gegangen, weil ihm langweilige Stunden bevor standen sondern hatte es wacker durchgestanden. Er hatte sich eine Belohnung verdient. Irgendwas leckeres. Vielleicht noch so einen übelst leckeren Muffin wie letztes Mal? Er kramte in seiner Tasche nach Geld und fand sogar welches. Juchu!
Freudestrahlend machte er sich auf den Weg in die Cafeteria. Doch er wurde abgelenkt als er einen pinken Haarschopf erblickte. Das konnte doch nur das Mädchen von letztens sein. Sonst gab es hier wohl nicht viele mit pinken Haaren. Er überlegte kurz aber er kam einfach nicht auf den Namen. Manchmal hasste er seine Vergesslichkeit. Naja. Er ging trotzdem auf sie zu und begrüßte sie mit einem simplen: "Hi." Ganz neutral, ohne Namen. Vielleicht verriet sie ihn ja nochmal. So ganz zufällig. War zwar ziemlich unwahrscheinlich aber zur Not konnte er ja immernoch nachfragen.
"Na, wie gehts dir?" fragte er, da ihm gerade wieder eingefallen war wie schüchtern das Mädchen war. Da musste er also die Konversation am laufen halten. "Ich wollte in die Mensa mir einen Muffin holen Kommst du mit?" fragte er gleich mal.

Ob es auffallen würde, wenn sie mit Samy einfach den Platz tauschte? Sie sahen sich ja wirklich sehr ähnlich. Mh. Dummes Mädchen, natürlich würde das auffallen. Schließlich waren sie doch vom Charakter her komplett verschieden. Obwohl sie hier eh noch niemanden wirklich kannte, da wäre es wohl egal. Vielleicht sollte sie das echt in Erwägung ziehen. Würde sie zumindest nicht stören. Und sonst auch niemanden.
Ihre Gedanken wurden unterbrochen, als sie angesprochen wurde. Dabei ließ sie fast ihre Tasche fallen, die sie im letzten Moment noch zu fassen bekam. Nochmal gut gegangen. Erleichtert seufzte sie, ehe sie ihren Blick auf Muri richtete: " Hey, Muri. Ganz gut..und dir?"
Als hätte er ihre Gedanken gelesen, tauchte er plötzlich auf. Ein Gedanke der sie zum Schmunzeln brachte.
Bei ihrer Frage nickte sie leicht: "K-klar, wieso nicht." Sie hatte ja nichts besseres zu tun, außerdem war es unhöflich, abzulehnen.

"Mir gehts super jetzt wo ich den Unterricht hinter mir habe." antwortete er mit einem breiten Grinsen. "Heute wars wieder megalangweilig." erklärte er. "Liegt wohl daran, dass ich nicht so ein Theoriemensch bin." plapperte er einfach weiter. "Wenns um Theorie geht bin gedanklich irgendwie immer woanders und dann check ich nachher gar nichts mehr." Aber darüber hatten sie doch schonmal geredet oder? Darüber, dass er sich leicht ablenken ließ zumindest und wahrscheinlich darüber, dass er vergesslich war weshalb die Wiederholung wohl gar nicht so schlimm war. Sie war dann ja drauf vorbereitet.
"Vielleicht kann ich dir auch einen holen..." murmelte er während er schon das Geld nachzählte und dann glücklich lächelte. "Japp, sollte hinkommen." verkündete er grinsend und setzte seinen Weg mit Tamy an seiner Seite fort.
"Irgendwas Neues seit unserem letzten Gespräch?" fragte er nach und sah kurz zu ihr herüber. Ob er sie wohl nervte oder so? Denn wenn das der Fall war würde sie ihm das sicher nicht auf die Nase binden. Aber er fand sie eigentlich ganz nett und wollte etwas mehr über sie erfahren. Also musste sie ihn wohl noch etwas ertragen, ob sie wollte oder nicht.

Tamy musste schmunzeln, als er wie ein Wasserfall losredete, aber das war auch beim letzten Mal nicht anders gewesen, also war das nichts neues für sie. Außerdem war es angenehm, da musste sie das Gespräch nicht am Laufen halten. Dass er sich wiederholte, störte sie nicht.
"Theorie ist ja auch langweilig", gab sie zurück, aber trotzdem war es ihr lieber als Praxis, weil sie in Theoriefächern nicht vor anderen singen oder so musste. Das mochte sie gar nicht. Noch ein Grund, warum sie hier doch vollkommen fehl am Platz war.
Dann blinzelte sie perplex und shcüttelte den Kopf: "Musst du doch gar nicht. I..ich..ich hab ja nichtmal Hunger."
Er sollte lieber mal sein Geld für sich selbst behalten. So wie er akribisch dieses abzählte, hatte er davon ja nicht viel.
"Neues? Nicht wirklich", murmelte sie und überlegte kurz. Nein, da war echt nichts. Wie denn auch? Viel Zeit war ja nicht vergangen und aus den meisten Sachen hielt sie sich raus, wenn sie konnte.
"Bei dir?", fragte sie schließlich ein wenig neugierig zurück, er war immerhin viel lebendiger als sie und hatte bestimmt etwas zu erzählen.

Zustimmend nickte er. Aber das er Theorie für langweilig hielt hatte er wohl allzu deutlich klar gemacht. Wahrscheinlich sogar mehr als einmal. Aber so war er eben. Daran musste Tamy sich gewöhnen wenn sie sich weiter mit ihm abgeben wollte. Wobei er das wohl gar nicht so genau wissen konnte. Sie wirkte nicht als ob es sie störten würde, dass er sie einfach zuplapperte aber wer wusste schon was sie wirklich darüber dachte? Selbst wenn er nachfragen würde, konnte er sich nicht sicher sein eine ehrliche Antwort zu bekommen. Naja, dann musste sie halt einfach damit leben, dass er sie mit Sachen zuquatschte, die sie vielleicht gar nicht interessierten.
Etwas enttäuscht ließ er sein Geld wieder in die Tasche wandern. "Dann nicht." Komisch, immer wenn er irgendwem was anbot wurde es abgelehnt. Vielleicht glaubten sie alle er könne sich das gar nicht leisten. Womit sie im Grunde genommen ja auch Recht hatten. Aber er konnte mit seinem Geld doch eigentlich anstellen was er wollte.
Ihre Frage ließ ihn den Kopf schütteln. "Ich bin meistens viel zu müde um noch irgendwas aufregendes zu erleben." erklärte er. "Ich bin den Schulalltag echt nicht mehr gewöhnt." Er seufzte. Es war schon anstrengend aber er hatte die Hoffnung sich irgendwann wieder daran zu gewöhnen. "Ich war ne Zeit lang nicht in der Schule und... naja, hab auch sonst nicht viel gemacht." erzählte er. "Deshalb krieg ich die Umstellung grad irgendwie nicht mehr so hin. Aber das klappt schon noch." sprach er sich selbst Mut zu.

Das zeitweilige Schweigen nutzte Tamy dafür, um ihren Stundenplan aus der Tasche zu ziehen und nachzusehen, was sie als nächstes hatte. So wirklich Lust hatte sie eigentlich eh zu nichts mehr aber was musste, das musste.
Als sie Muriels Angebot ablehnte, wirkte dieser regelrecht enttäuscht darüber. Also fühlte sie sich nun doch schlecht. Sie warf ihm einen entschuldigenden Blick zu, auch wenn das auch nichts besser machte.
Den Schulalltag nicht mehr gewohnt? Das war irgendwie verwirrend. Die Sommerferien waren ja gar nicht so extrem lange, dass man aus dem Rhythmus geraten konnte. Aber schon folgte eine Erklärung, die sie aber nur noch neugieriger machte. Doch wie Tamy so war, traute sie sich mal wieder nicht, näher nachzufragen.
"Verstehe", erwiderte sie also nur leicht lächelnd, "das wird schon werden. Immerhin ist es ja noch Schulanfang." Das war eben alles nur Gewöhnungssache.

Der entschuldigende Blick machte es gleich viel besser. Ja, tatsächlich. Auch wenn er natürlich absolut nicht nötig war. Trotzdem fühlte er sich irgendwie mehr ernstgenommen. Komisch. Und total sinnlos. Aber das passte ja zu ihm.
"Na das hoffe ich doch." erwiderte er grinsend. "Und ich hoffe, dass ich nicht wieder in meinen Schulalltag verfalle." Das wäre nämlich eher unvorteilhaft. Das hieß nämlich, dass er höchstens zur dritten Stunde auftauchte und wieder verschwand sobald sich ein unangenehmer Unterricht in Aussicht stand. Aber genau das wollte er ja nicht mehr. Bisher klappte das sogar sehr gut. Aber es war ja auch noch Schulanfang, wie Tamy ganz richtig erkannt hatte.
"Wenn du mich beim Schwänzen erwischst schlag mich gefälligst." meinte er eher scherzend. "Und schleif mich zum Unterricht zurück." fügte er hinzu und stellte sich vor wie die schmächtige Tamy ihm eine Ohrfeige verpasste und zurück in den Unterricht schleifte. Er musste schmunzeln.
Dann standen sie endlich vor der Cafeteria Türe. "Du wolltest nichts oder?" fragte er nochmal nach, weil er es schon wieder vergessen hatte. Wenn sie wirklich nichts wollte, hieße das wohl, dass er sie den ganzen Weg umsonst mitgehen lassen hatte obwohl sie vielleicht etwas besseres zu tun gehabt hatte. Wäre mal wieder tpyisch...

Die Roberts hörte ihm aufmerksam zu, legte schließlich den Kopf schief: "Das klingt, als wärst du einer dieser notorischen Schulschwänzer." Ups. Hatte sie das gerade wirklich gesagt? Errötend wandte sie den Blick ab und starrte wieder auf den Boden. Manchmal war ihr Mund doch schneller als der Kopf, wenn es auch relativ selten vorkam.
Aber da bestätigte er es schon selber. Na sowas, also hatte sie gar nicht unrecht gehabt. Schmunzelnd blickte sie wieder auf: "Ich bezweifle, dass ich dazu in der Lage bin, dich irgendwo hin zu schleifen." Dafür war sie um einiges zu schwach, ganz zu schweigen von dem Größenunterschied, der es auch erschwerte. Und dass sie ihn hauen würde, war noch viel unwahrscheinlicher.
"Ich könnte dich allerhöchstens volllabern, dass du zum Unterricht gehen musst", stellte sie schließlich fest. Ob sie dazu den Mut hatte, war wieder eine andere Frage. Doch die Vorstellung war schon ziemlich lustig, das musste sie zugeben.
Auf seine Frage schüttelte sie den Kopf: "Nein. Aber wenn du dich nicht beeilst, ist nichts mehr da."